„Marielein! Da wird mal einer kommen, das sag ich dir. Ein Fotograf. In den verguck‘ ich mich. Der ist für eine Woche hier in der Gegend, und ich bin allein zu Hause. Ihr seid mit dem Vater zur "Grünen Woche" nach Berlin gereist, die dauert genau so lang. Jaja, ich weiß, warum du krähst! Dein Vater würde nie und nimmer mit euch nach Berlin fahren zur "Grünen Woche", der ist froh, wenn er euch los ist. Doch gesetzt dem Fall, er täte es. Dann würde folgendes passieren: Der Fremde klingelt und fragt mich nach dem Weg. Er hat sich nämlich verfahren. Der möchte einen Schluck zu trinken, ich lass ihn rein. Das tut man eigentlich nicht, könnte ja ein Verbrecher sein, aber er macht einen so guten Eindruck. Da sitzt der Mann also an unserem Tisch und redet mit mir. Also reden! So richtig mit Worten, wie Frauen das sonst nur machen. Dein Vater redet nie mit mir, außer es geht um Hühnerfutter oder Selleriesalat.
Ich verliebe mich in den Fremden, weil er so herrlich mit mir redet. Und er hat sich im selben Moment in mich verliebt – keine Ahnung weshalb. Obwohl er wusste, dass ich verheiratet bin. Da hab’ ich keinen Hehl draus gemacht. Wir hatten wunderbare Tage. Haben sogar zusammen in einer Wanne gelegen, stell dir das mal vor. Das habe ich ja mein Lebtag nicht gemacht! Soll ich mit deinem Vater in einer Wanne liegen? Ich würde ja schmutziger rauskommen als rein!
Ich habe mein gutes Kleid getragen mitten in der Woche, hab mich zweimal am Tag geschminkt und allein dafür 'ne halbe Stunde gebraucht. Zeit verschwendet wie nie! Gelebt hab’ ich zum ersten Mal.
Marie! Was ich alles mit dem gemacht habe! Dir kann ich es ja sagen, du bist ja zum Glück viel zu klein, um mich zu verstehen. Wenn ich gewusst hätte, dass ich so was mal schön finde?! Der hat mich angepackt in einer Art, die ich nicht kenne von deinem Vater. Und einen anderen hatte ich ja vorher nie, gehört sich ja auch nicht.
Ich weiß, dass ich nun ein Miststück bin, weil ich fremdgehe, im Grunde. Aber dieser Mann! Der hat mich erst mal fast ne' halbe Ewigkeit geküsst. Ich meine, wir waren natürlich auch spazieren und haben geredet und haben gegessen und so. Seine Augen waren so wunderbar. Seine Hände ganz weich! Wie ein Juwelier. Aber als es soweit war! Da hat der sogar, mein Gott, du verstehst mich ja zum Glück nicht! Der hat mich nicht nur auf den Mund geküsst, sondern überall hin. Mit seiner Zunge die ganze Haut geleckt. Hat mich gestreichelt, als sei ich ein Baby in seinen warmen Händen. Darüber hab’ ich weinen müssen vor Rührung, weil das so derart schön war. Und dann war wieder alles ganz anders, da hat er mir einen Klapps gegeben, mir in die Ohrläppchen gebissen, mich an den Haaren gepackt, und mich ... ich kann’s dir nicht sagen! Kind, ich finde keine Worte dafür. Sowas tut man normal nicht. Es ist so wie draußen spielen gehen mit fünf Jahren. Endlich mal eine Pfütze, in die man treten kann, wieder und wieder, weil kein Erwachsener dabei ist. Ein Spielplatz mit Lachen und Beißen, im Matsch spielen, sich prügeln und vertragen, Feuer machen und sich selbst darüber grillen lassen, damit man für den anderen auch richtig lecker schmeckt.
Jede Minute mit dem Mann fühlte sich an, als würde ich im Lotto gewinnen! Ich sag dir ehrlich, Marielein. Für so eine Woche, wenn ich das nochmal erleben dürfte, würde ich meinen Ring hergeben. So sieht’s aus. Jetzt weißte vielleicht, wie schön das war, jetzt weißte bestimmt Bescheid.“