„Es lebe das Theater!“ Mit diesen Worten begann Dario Fo seine Vorstellungen zur „Geschichte einer Tigerin“. Und so nannte ich auch die Spielreihe, die mir das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur 2021 ermöglichte, um als Solo-Selbständige im nichtöffentlichen Bereich zwanzig Vorstellungen von Dario Fos „Geschichte einer Tigerin“ zu spielen. Schulen, Einrichtungen und Vereine luden mich ein und hatten selber nur eine geringe Summe zu zahlen. Alle anderen Unkosten wurden durch die Förderung abgedeckt.
Die „Geschichte einer Tigerin“ erzählt von einem chinesischen Revolutionskämpfer, der „den Tiger hat“, was im Chinesischen bedeutet, dass er niemals aufgibt. „Den Tiger zu haben“ erschien und erscheint mir eine ermutigende Eigenschaft.
Die absurde und mit anarchischem Witz erzählte Geschichte dauert eine knappe Stunde. Für Dario Fo typisch, kommt die Inszenierung ohne großen Aufwand daher, lässt sich eigentlich überall, also auch in einer Mensa, Turnhalle oder in einem Aufenthaltstraum aufführen.
Dario Fo selbst meinte anlässlich der Verleihung des Nobelpreises für Literatur 1997 in Stockholm: „Die Macht, und zwar jede Macht, fürchtet nichts mehr als das Lachen, das Lächeln und den Spott. Sie sind Anzeichen für kritischen Sinn, Phantasie, Intelligenz und das Gegenteil von Fanatismus.“
Was die Erlebnisse mit dieser Arbeit für mich so besonders gemacht haben, war folgende Erkenntnis: Als Schauspielerin werde ich am Ende der Vorstellung mit Applaus gefeiert, fühle meine künstlerische Arbeit gewürdigt und gelobt.
Anders beim Theaterspielen in Schulen und Einrichtungen: Während einer Vorstellung – zum Beispiel im Wohnzimmer einer Wohneinrichtungen für Jugendliche – hatten wir etwa zehn Zuschauerinnen und Zuschauer zwischen 7 und 17 Jahren plus deren Betreuerinnen. Sie halfen beim Ausladen und Aufbauen, wie bei vielen Vorstellungen, machte ich die letzten Vorbereitungen (wie das Schminken) auf der Bühne, im Gespräch mit dem Publikum. So erfuhr ich, dass der Jüngste noch nie im Theater war, die anderen schon mal in Weihnachtsaufführungen mit der Schule. Wir vereinbarten, dass ich die Vorstellung unterbreche, wenn es zu spannend, zu langweilig oder zu schwierig wird. Mit dem Ausruf „Es lebe das Theater!“ eröffnete ich dann die Vorstellung.
Obwohl alle aufmerksam und interessiert zuschauten, bemerkte ich nach einer Zeit eine gewisse Unruhe. Als ich unterbrach, flitzten die Jugendlichen aufs Klo, holten sich eine neue Fanta eine Tüte Chips… und weiter ging’s…
Am Ende erzählten sie von ihren Erlebnissen: „Ich habe die Tiger gesehen!“, „Sie haben die Geräusche so echt gemacht!“, „“Ich habe mal einen Film über Tiger gesehen.“, „Ist der Soldat dann für immer bei den Tigern geblieben?“.
Applaus habe ich auch bekommen und hinterher noch sehr nette Briefe, aber hier ist mir das erste Mal deutlich geworden, dass das Tolle an dieser Förderung ist, dass ein intensives Ersterlebnis von Theater für genau die ermöglicht wird, die sonst nicht einmal in die Nähe von Theatern kommen.
Auch in Hauptschulen konnte ich am Ende von 14- bis 17-jährigen Sätze sammeln wie diese: „Also ehrlich: Eigentlich können Tiger gar nicht reden.“, „Sie haben das ganz gut gemacht, aber meins ist das nicht.“
Für die persönliche Eitelkeit von uns Schauspieler*innen ist diese Art von Arbeit vielleicht nicht besonders gewinnbringend, aber ich habe mir fest vorgenommen, weiter mit der Klientel Jugendliche und Schülerinnen und Schülern zu arbeiten. Einfach deshalb, weil es so zukunftsweisend und sinnvoll ist. Und ich der festen Überzeugung bin, jede und jeder sollte die Möglichkeit haben, Theater kennenzulernen. Es muss ja nicht für alle so leidenschaftlich enden, wie bei mir.
Juli 2022